Beschreibung
Günter Grass dachte nicht nur in Manuskripten, er dachte in Büchern. Wie kaum ein anderer Autor kannte er sich mit den künstlerischen und handwerklichen Aspekten der Buchherstellung aus und nahm entscheidenden Einfluss auf die Gestalt seiner Bücher. Dreißig Jahre lang hat Gerhard Steidl in besonderer Weise mit Günter Grass Bücher gemacht, und das ging so: Der Autor rief an, wenn 'in seiner Werkstatt mal wieder etwas los gewesen' war, und er eine neue Idee hatte. Steidl machte sich auf den Weg und besuchte seinen Autor in dessen Schreibwerkstatt, im Gepäck vielleicht einen eigens hergestellten Blindband, verschiedene Papiere und viele Notizzettel. Grass las dann aus dem neuen Manuskript vor, und Autor und Verleger skizzierten erste Buchideen, die später in Göttingen umgesetzt wurden. War die Textarbeit abgeschlossen, kam der Autor in den Verlag und begleitete jeden Arbeitsschritt seines Buches: ein Layout wurde festgelegt, eine Schrift ausgesucht, die Seitengestaltung überlegt, Papier ausgewählt, ein Andruck gemacht und am Schluss wurden Einband und Umschlag entworfen. Oft stand Grass danach selbst an der Druckmaschine und begutachtete die Farbgebung der ersten Bögen. Büchermachen mit Günter Grass gewährt spannende Einblicke in die Arbeitsweise von Grass und Steidl und präsentiert eine außergewöhnliche Publikationsgeschichte aus drei Jahrzehnten. Daneben zeichnet das Buch die weitergehende Werkpflege des Verlags in zahlreichen Wiederauflagen, Neuinterpretationen und -zusammenstellungen nach. Für jedes Ergebnis von Grass' umfangreichem kreativen Schaffen entstand bei Steidl ein passendes Format: für Gedichte, Kurzgeschichten, Romane, die legendären, vom Autor selbst eingelesenen Hörbücher und natürlich sein bildkünstlerisches Werk. 2015 erschien, nur kurze Zeit nach Günter Grass' Tod, das Buch Vonne Endlichkait, an dem der Autor noch Korrekturen letzter Hand vorgenommen hatte. Außerdem hatte Günter Grass vorgearbeitet: Bereits zu Lebzeiten legte er den Grundstein zur Neuen Göttinger Ausgabe seiner Werke: zu Format, Schrift und Seitengestaltung hatte er genaue Vorstellungen. Dieses Herzstück seines Schaffens in 24 Bänden erscheint nun posthum im Herbst 2020 und bildet den (vorläufigen) Abschluss dieses Werkstattberichts.
Autorenportrait
Gerhard Steidl (*1950) gründete 1968 seinen eigenen Verlag und arbeitete als Drucker und Gestalter. Inzwischen veröffentlicht Steidl das größte Buchprogramm zeitgenössischer Fotografie weltweit und ein ambitioniertes Literaturprogramm, er konzipiert und kuratiert internationale Ausstellungen. 2020 wurde er als erster Nicht-Fotograf mit dem Preis für "Herausragende Leistungen für Fotografie" der Sony World Photography Awards ausgezeichnet und mit dem Gutenberg-Preis der Internationalen Gutenberg-Gesellschaft in Mainz e.V. und der Stadt Mainz, 2021 mit dem Großen Verdienstkreuz des Landes Niedersachsen. Der Verlag erhielt im selben Jahr den "Deutschen Verlagspreis" der Bundesregierung Deutschland. Steidl ist außerdem Initiator und Gründungsdirektor des Kunsthaus Göttingen, das im Frühjahr 2021 eröffnet wurde.