Beschreibung
Die soziologische Theorie der Weltgesellschaft befindet sich noch in ihren Anfängen. Die Soziologie, selbst im Zeitalter der modernen Nationalstaatsbildung entstanden, hat sich lange auf die Erforschung nationalstaatlich gedachter Gesellschaften konzentriert und im übrigen unterstellt, dass sich die in Europa/Nordamerika beob-achtbaren 'modernen' Verhältnisse langfristig auch weltweit durchsetzen würden. Mit der Intensivierung der Globalisierungsforschung seit den 1980er Jahren ist dieses Bild zunehmend ins Wanken geraten und zentrale Begriffe im Vokabular der Soziologie - wie Gesellschaft, Moderne, Differenzierung und Kultur - sind noch problematischer geworden als sie es ohnehin waren. Seit den 1990er Jahren nehmen daher die Bemühungen zu, diese Begriffe mit der empirischen Globalisierungsforschung in Einklang zu bringen und die Theorie der Gesellschaft als Theorie der Weltgesellschaft neu zu fassen. Die Studie schließt an diese Problementwicklung an und versteht sich als Beitrag zu einer genuin soziologischen Theorie der Weltgesellschaft. Sie vermutet genuine Erkenntnischancen der Soziologie in der Möglichkeit, die Konzentration auf spezielle Gegenstände zu vermeiden und aus systematischen und historischen Vergleichen eine allgemeine Theorie der Globalisierung zu gewinnen. Neben prominenten Forschungsgegenständen wie Wirtschaft und Politik interessiert sie sich daher gerade für solche Gesellschaftsbereiche wie den Sport, die im Mainstream der Globalisierungsforschung meist unter der Restkategorie 'Kultur' abgebucht und esoterischen Spezialdisziplinen überlassen werden. Die Geschichte des modernen Wettkampfsports drängt sich als Ausgangspunkt für solche Vergleiche besonders auf, denn die Grundstrukturen des sozialen Systems, das Historiker und Soziologen heute modernen Wettkampfsport nennen, entstehen in einem gedrängten Zeitraum, der sich vom Ende der 1850er Jahre bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erstreckt: Nationale und internationale Verbände werden gegründet, Cup- und Ligensysteme eingerichtet, erste 'World Tours' und Großereignisse wie Weltmeisterschaften und Olympische Spiele finden statt, die Sportpresse expandiert, erste 'Stars' treten auf, und auch der Begriff des 'Rekords' im heutigen Sinne findet erstmals Verwendung. Und bei allen Veränderungen im Detail ist dieses institutionelle Arrangement bis heute verblüffend stabil geblieben; die globale Expansion des modernen Sports scheint als Verbreitung eines Bestandes interpretierbar, der sich Ende des 19. Jahrhundert bereits vollständig etabliert hatte. Wenn dieser Eindruck zutrifft, legt er nahe, eine systematische Beschreibung der charakteristischen Strukturen des heutigen Wettkampfsports mit einer historischen Rekonstruktion ihrer Entstehung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verbinden und nach möglichen Parallelen zwischen dieser eigentümlich getakteten Geschichte des Sports und der historischen Entwicklung anderer Gesellschaftsbereiche zu fragen. Damit ist im Wesentlichen auch der Bauplan der Studie skizziert: Sie entfaltet zunächst ein systematisches Verständnis der Autonomie des modernen Wettkampfsports, erkundet dann die Entstehungsbedingungen dieser Autonomie im 19. Jahrhundert und schließt mit einem Problemausblick, der nach der Übertragbarkeit der Kernthesen der Arbeit auf andere Teilsysteme fragt. Diese Kernthesen sind bereits im Titel angedeutet. Die erste These besagt, dass nicht Athleten und Sportler, nicht Funktionäre und Organisatoren, sondern die unablässigen Kommentare von Journalisten und anderen Beobachtern für die Entstehung und Globalisierung des modernen Sports primär verantwortlich waren. Der Sport, vermutete schon Robert Musil, 'ist nicht aus der Ausübung, sondern aus dem Zusehen' entstanden, er ist ein Produkt 'seines Publikums'. Aber auch in 'Weltsport' ist eine These enthalten, nach der sich Entstehung und Globalisierung des modernen Sports nur angemessen begreifen lassen, wenn man ihm die Fähigkeit zuschreibt, e
Autorenportrait
Tobias Werron. Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg und Berlin, von Oktober 2003 bis August 2006 im Bielefelder Graduiertenkolleg 'Weltbegriffe und globale Strukturmuster'. Von September 2006 bis März 2009 Assistent am Soziologischen Seminar in Luzern, seit April 2009 Akademischer Rat a.Z. an der soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld. - Forschungs- und Interessenschwerpunkte: Soziologische Theorie, Theorie der Weltgesellschaft und Globalisierungsforschung, Mediensoziologie und Sportsoziologie - Publikationen u.a.: 'Publika. Zur Globalisierungsdynamik von Funk-tionssystemen', Soziale Systeme 13 (2007); Weltereignisse. Theoretische und empirische Perspektiven, hrsg. gemeinsam mit Stefan Nacke und René Unkelbach, Wiesbaden 2008; in diesem Band: '>World Series<. Zur historische Genese eines Weltereignisses'; 'Der Weltsport und seine Medien', in: Felix Axster u. a.: Mediale Codierungen des Sports, München: 2009.