Beschreibung
Der Band versammelt die Beiträge der Tagung "Archäologie der Phantasie", die in Lana im Rahmen der Kulturtage Lana stattgefunden hat. Das internationale Symposion "Archäologie der Phantasie" widmet sich einer Perspektivenverschiebung, die, verstärkt, aber nicht allein bedingt durch den "pictorial turn", in den letzten Jahren zu einer Wendung der Literatur- und Kunstwissenschaften von der "Stasis der memoria" hin zur "Dynamik der Imagination" (E. Lobsien) geführt hat. Die Beiträge dieser Publikation beschäftigen sich mit dem Zusammenspiel von imaginatio, ratio und memoria als derjenigen mentalen und medialen Einheit, auf die jede Produktion materieller Artefakte Rücksicht zu nehmen hat, wenn sie die Produktion innerer Bilder anstoßen und intensivieren möchte. Und: Eine Kommunikation zwischen Welt und Seele kann, unter den Voraussetzungen antiker und mittelalterlicher Wahrnehmungstheorie, nur vermittelt durch pneumatisch generierte Phantasmen gelingen. Die physischen Reize aller fünf Sinne (der sensus exteriores) erlangen erst aufgrund ihrer Übersetzung durch die inneren Sinne (sensus interiores) in die Sprache der imagines eine subtile, feinstoffliche Präsenz im psychischen Apparat der Wahrnehmung. Das Imaginäre ist mittelalterlich, deshalb keineswegs der Gegenbegriff zum Realen, sondern dessen einzig mögliche psychische Form. In solcher Form ist die "Realität der inneren Bilder" zugleich in höchstem Grade anfällig für die Wirkungen der Melancholie (G. Agamben), des Eros und der Magie (I. Culianu). Das Werk geht den Spuren nach, die jene "Rücksicht auf Wahrnehmbarkeit" auf den Oberflächen und in den Strukturen der Artefakte selbst hinterläßt. Es nutzt dazu die Gunst des Ortes und nimmt in seiner ersten Sektion die profanen und geistlichen Wandmalereien in den Blick, die Südtirol als einen Imaginationsraum auszeichnen, dessen Bildgedächtnis bruchlos von der Karolingerzeit bis zum Beginn der Neuzeit reicht. Die zweite Sektion beschäftigt sich mit der "langen Dauer" des pneumophantasmatischen Wahrnehmungsmodells und seiner Rezeptionswege in überlieferungsgeschichtlichen, historisch-semantischen und ikonographischen Reihen. Die dritte Sektion weitet den Horizont der Untersuchungen um Beispiele der Verdrängung und Wiederkehr der Phantasmen in konfessionellen, imaginationskritischen und veränderten medientechnischen Kontexten, die bis zur aktuellen Videokunst führen.
Autorenportrait
Elmar Locher, geboren 1951 in Bozen, Studium der Germanistik, der Vergleichenden Literaturwissenschaft und der Linguistik an den Universitäten Wien, München und Innsbruck. Von 1983-1986 Lehrauftrag an der Universität Innsbruck (Film und Literatur), von 1986-1992 wissenschaftlicher Assistent an der Universität Trient für Dt. Sprache und Literatur. Seit 1992 prof. ass. an der Universität Verona, Dipartimento di Germanistica e Slavistica. Zahlreiche Aufsätze zur Curiositas-Problematik und der Memoriatheorie des 17. Jh. Arbeiten zu G. E. Lessing, G. Ch. Lichtenberg, H. v. Kleist, Robert Walser, Franz Kafka, Robert Musil, W. G. Sebald, Dieter Forte u. Peter Handke. Übersetzungen aus dem Italienischen und Herausgeber der Reihe essay&poesie (edition sturzflüge/StudienVerlag, Bozen/Innsbruck/Wien), zuletzt: Franz Kafka Ein Landarzt Interpretationen (2004) und Ernst Bloch Spuren Lektüren (2008). Hans Jürgen Scheuer, apl. Prof. für ältere deutsche Literatur an der Universität Stuttgart. Publikationen zur Signifikanz des Rituals im Tristan, zur Wahrnehmung innerer Bilder, zu cerebralen Räumen, zu schwankenden Formen in der religiösen Kommunikation in mittelalterlichen Schwänken, zum heraldisch Imaginären als poetischen Denkformen, zur narrativen Zeitform im Iwein. Darüber hinaus Arbeiten zu Heinrich von Kleist, Franz Kafka und Ernst Bloch.