Beschreibung
Während D'Annunzios sprachfunkelnde Romane "Lust" (1889), "Triumph des Todes" (1894) und "Feuer" (1900) schon früh übersetzt worden sind, ist seine Lyrik dem deutschsprachigen Leser nahezu unbekannt geblieben. Die nun vollendete Nachdichtung seines poetisch reifsten Gedichbandes macht im Jahr seines 150. Geburtstages und 75. Todestages erstmals auf Deutsch eine wirkliche Entdeckung dieser umstrittenen Schriftstellerpersönlichkeit als Lyriker möglich. - Der Zyklus der "Laudi" vereint - wenngleich sie in ihrem Titel an Franz von Assisis fromme Lauden erinnern - heidnische "Lobgesänge des Himmels, des Meeres, der Erde und der Helden". Ursprünglich auf sieben Bände mit den Namen aller Pleiaden veranschlagt, gipfeln sie - nach "Maia" und "Elettra" - im dritten Band: "Alcyone" (1903), dem über ein Jahrzehnt später aber nur noch zwei, "Merope" und "Asterope", folgen sollten. D'Annunzio hatte seinen poetischen Zenit überschritten. - Schon das erste Gedicht "Die Waffenruhe" steht programmatisch für den Rückzug des Dichters aus der politischen Betrachtung der Gegenwart. Wünschte er in "Elettra" mit dem Rückgriff auf antike Mythen noch eine moralische Erneuerung Italiens gegen moderne Zerfallserscheinungen, drängt D'Annunzio nun alles Epische zugunsten elegischer Töne zurück. Sein "absoluter Gesang" greift Themen und Motive aus Ovids "Metamorphosen" auf: Ort ist die toskanische Küstenlandschaft der Versilia mit ihren Pinienwäldern, dem Meer und den Bergen. Hier entdeckt das lyrische Ich die Geheimnisse der Natur, schläft zwischen den Sternen, beobachtet Hirsche, lauscht dem Regen im Nadelwald, reitet an der Küste entlang und denkt unentwegt über die stets sich verwandelnden Naturschönheiten nach. Der Gesang der Zikade wird zur Musik des Hirtengottes Pan, und galoppierende Pferde erinnern an den Hufschlag eines Kentauren. - Viele der in "Alcyone" versammelten Oden, Sonette, Madrigale, Balladen und Blankverse wurden schlagartig bekannt und so beliebt, dass sie gewissermaßen zu italienischem Volksgut geworden sind.
Autorenportrait
Gabriele d'Annunzio (1863-1938) ist heute außerhalb Italiens - wenn nicht wegen seiner Beziehung zur Schauspielberühmtheit Eleonora Duse oder zahlreicher erotischer Eskapaden - vor allem durch seine extravagant inszenierten militärischen Unternehmungen gegen Ende des Ersten Weltkrieges bekannt: Er ließ als U-Boot-Kommandant, mit zwei Smaragden am Zeigefinger, österreichische Schiffe torpedieren; er steuerte ein Flugzeug über Wien, wo er Propagandablätter abwarf, die zur Kapitulation aufriefen; und er marschierte im Sommer 1919 in Fiume/Rijeka ein, wo er für kurze Zeit einen Führerstaat errichtete, dessen Ästhetisierung der Massen dem italienischen Faschismus zum Vorbild gereichte - und selbst Lenin Respekt abverlangte. Dieses Bild von D'Annunzios zweiter Lebenshälfte überdeckt in der deutschen Rezeption dessen fruchtbare Schaffensphase vor den politischen Verirrungen, in der er nicht nur der modernen italienischen Literatur wesentliche Impulse gegeben hat. Der Lyriker und Dramatiker Ernst-Jürgen Dreyer (1934-2011) übersetzte zusammen mit der Schriftstellerin Geraldine Gabor (geb. 1958) bereits u. a. Francesco Petrarca ("Canzoniere", 1989), Guido Cavalcanti ("Le Rime", 1991) sowie Gabriele d'Annunzio ("Hortus larvarum", 2009). Der Lyriker, Essayist und langjährige Kulturredakteur Hans Krieger (geb. 1933) übersetzte zuletzt Paul Verlaine ("Poèmes", 2005) sowie Marceline Desbordes-Valmore ("Tag des Feuers", 2012).