Beschreibung
Zwischen 1986 und 1991 hat Philippe Lacoue-Labarthe drei Bücher publiziert, deren Anlage, im Nachhinein, als eine Trilogie angesehen werden kann. Dreimal anders, wird das verwickelte Verhältnis der Philosophie zur Dichtung, zur Politik und zur Musik unter dem Winkel eines - philosophischen - Anspruchs diskutiert, der Sprache (das undurchsichtige Milieu der Auseinandersetzung zwischen Philosophie, Poesie, Politik und Musik), seit der griechischen Antike, in den Dienst des Willens zur Gestalt stellt; oder, mit einem Wort Lacoue-Labarthes, der die Herkunft die ses Worts aus dem lateinischen fingere - gestalten, bilden, formen - (in ihm aber eine Übersetzung des griechischen pláttein) freilegt: in den Dienst des Willens zur Fiktion. Dreimal anders, legt Lacoue-Labarthe die - nicht nur philosophisch und politisch - verheerenden Konsequenzen, die dem Willen zur Gestalt entsprungen sind (und die das Abendland, seine Geschichte, seit mehr als zweitausend Jahren prägen) auseinander; aber auch die unverwahrbaren Brechungen und Riße, die durch den genannten Anspruch gehen. Die drei Bücher waren, in Lacoue-Labarthes Worten, so angekündigt worden: Dichtung als Erfahrung (1986): Adornos Frage, ob Dichtung nach Auschwitz noch möglich sei, war, obwohl auf andre Weise, auch die Frage Paul Celans. Jene, unter deren Druck die Dichtung immer untragbarer wurde. Weil Celan eine solche Frage in sich trug, akzeptierte er 1967 eine Begegnung mit Heidegger in der Absicht, ihn - den Denker der Dichtung, aber auch den Denker dieses, unseres, Zeitalters - zu bitten, sich über sein Verhalten in den Anfängen des Nationalsozialismus zu erklären und vor allem das beharrliche Schweigen zu brechen, das er seit Kriegsende über Auschwitz gewahrt hatte: über die Maßenvernichtung, dieses 'Ereignis ohne Antwort', wie Blanchot sagt. Heidegger sagt kein Wort. Tat, als verstünde er nicht. Vor dem Hintergrund dieser - emblematischen - Episode, versucht dieses Buch nach der Aufgabe - heute - der Dichtung und ihrer Bestimmung zu fragen. Die Fiktion des Politischen (1987/1988): Unter den Fragen, die das politische Schicksal Heideggers aufwirft, ist die von Adorno vorgebrachte, ob Heideggers Philosophie nicht 'bis in ihre innersten Zellen faschistisch' sei, vielleicht nicht die wichtigste und zweifellos nicht die gerechteste. Sie ist unumgehbar, gewiß, und man sollte sich davor hüten, Heidegger, für die Zukunft seines Denkens, von seiner verstohlenen aber entschiedenen Anerkennung des Nationalsozialismus, von der Unzulänglichkeit seiner Erklärungen darüber, und vor allem von seinem beharrlichen Schweigen über die Maßenvernichtung zu lösen. Das sollte aber nicht hindern auch wahrzunehmen, daß Heidegger dort, wo er - im Bann des Nazismus - deßen 'Wahrheit' sagen wollte, etwas vom untergründigen Wesen der 'Bewegung' enthüllt hat, und von da her möglicherweise, was es mit dem Politischen in der Moderne auf sich hat: daß das Politische nämlich, weit davon entfernt, modern zu sein, dem Ideal des Alten (dem 'griechischen Vorbild') unterworfen bleibt, und - ob als Renaißance oder Revolution - nicht anders denn als Imitat antiker Kunst zustande kommt. Dieses unscheinbare - katastrophische - Symptom der abgetriebenen Moderne wird hier Nationalästhetizismus genannt; von der Vermutung begleitet, daß unter dem Alibi der Technik in Wirklichkeit téchne unsere Politiken heimsucht, und das leise Gerücht, ein Volk komme zu sich und zur Geschichte nur als Träger einer ihm eigenen Kunst: eines ihm eigenen Mythos. musica ficta (Figuren Wagners) (1991): Vier 'Szenen' komponieren dieses Buch, alle vier sind Wagner zugedacht. Die zwei ersten Szenen (Baudelaire, Mallarmé), zeitgleich mit dem europäischen Triumph des Wagnerianismus, sind einer historischen Spanne eingeschrieben, die durch den Krieg von 1870/71 und die Pariser Kommune punktiert wird, und in der die weltweite Entfeßelung der Klaßen und Nationen sich präfiguriert. Die beiden anderen Szenen (Heidegger, Adorno) haben statt, nachdem gewiße, nicht bloß ideologische Wirkungen des Wagnerianismus spürbar geworden sind, und das verwirrende Ineinander von 'Nationalem' und 'Sozialem' sich zu einer beispiellos monströsen politischen Konfiguration verdichtet hat. In beiden Fällen spielen Kunst und Politik ineinander, aber weder in Gestalt einer Politik der Kunst, noch auch, ja weniger noch, in Gestalt einer Kunst der Politik. Es handelt sich, gravierender, um die Ästhetisierung - oder Figuration - des Politischen. Diese vier Szenen rahmen die 'eigentliche Szene' - die hier zurückgezogen bleibt - gewißermaßen ein: jene Szene, die zu Nietzsches Bruch mit Wagner führte, jenem philosophischen Ereignis zweifellos höchster Bedeutung, von dem Heidegger 1938 nicht völlig zu Unrecht, trotz allen Vorbehalts, hat sagen können, es müße 'als die Notwendigkeit unserer Geschichte' begriffen werden. Die drei Bücher Lacoue-Labarthes erscheinen hier, in durchgesehener Fassung der seit Jahren vergriffenen deutschen Übersetzungen, ergänzt um einen zusätzlichen Text ('Die Fiktion des Biographischen') und um ein Nachwort des Übersetzers, zum erstenmal in einem Band. Philippe Lacoue-Labarthe (1940-2007) war Professor für Philosophie und Ästhetik an der Université Marc Bloch in Straßburg. Mehrere Publikationen gemeinsam mit Jean-Luc Nancy. Bei Urs Engeler ist bereits erschienen Die Nachahmung der Modernen.