Beschreibung
Das neue Buch von Norbert Lüthy schlägt einen Akkord in drei Textformen an. Die Gedichte zu Beginn setzen den Band Durch das Zeitendickicht fort, mit dem der Autor vor drei Jahren debütierte. Bei allem Wissen um die Zerrissenheit der Epoche ist ihnen eine leise Zuversicht eingeschrieben: Die Welt / noch immer / ein Gedicht schließt der erste Text. Die Suchbewegung dieser Lyrik wird in Ende einer Schlangenlinie durch vier lapidare Worte offenbar: Abkehr / Einkehr / Umkehr / Heimkehr. An die Gedichte schließen Gedanken an, die zwischen scheinbar beiläufigem Notat und prägnantem Aphorismus changieren. In präzisen Beobachtungen hält Lüthy die Situation des modernen Menschen fest: reizüberflutet im elektronischen Kartenhaus sitzend, vom Tempo der Abwechslungen ebenso abhängig wie daran leidend, ein bloßes Objekt der Märkte und Moden. Der Ariadnefaden, der aus dem Labyrinth führt, bleibt jedoch sichtbar: Es ist die Sprache selbst, die - allem Mißbrauch des Zitierens zum Trotz - in ihrer geschichtlichen Tiefe Sinn bewahrt. Daß sie in Gefahr ist, wird indes nicht verschwiegen: Hirnforschung - wer forstet die Sprache nach der Selbstzerforschung des Hirns im Land der Einnerung wieder auf? fragt eines der Notate. Die Geschichten zu Ende des Bandes verschließen sich ebenfalls der gängigen Zuordnung. Mal anekdotische Alltagsbeobachung, mal parabelhafte Erzählung, ist ihnen jedoch eines gemeinsam: ihre ebenso kompakte wie untrügliche literarische Formung. Ob Lüthy im Anblick eines Leuchtturms im Schaufenster einer Bank ins Grübeln gerät (Die Vertreibung eines Gespensts) oder weit ausgreifende Gedanken an das Glitzern und Tosen des Meeres knüpft, immer frappiert die Verbindung von knapper Form mit einer gedanklichen Intensität, die dem Leser weite Reflexionsräume öffnet. Die verzweifelte Vorstellung vom Sachzwang gibt sich einen Anschein von Sachlichkeit. Traumreisen zu Traumpreisen - Steppengräser streicheln die Warteschlange kurz vor der Postschalterschließung.