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Der Unsterblichkeitsclown

Adalbert Ritter von Goldschmidt (1848-1906) - Ein Dichterkomponist im Wiener Fin

Erschienen am 01.06.2020
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783906050614
Sprache: Deutsch
Umfang: 336
Auflage: 1. Auflage

Beschreibung

"Jeder kennt ihn. Wer ihn das erste Mal sieht, fragt. Und man vergisst ihn nicht wieder. Er fällt auf. Nicht eigentlich so sehr durch die kräftige Schönheit seiner Erscheinung, als vielmehr durch einen besonderen und seltenen Geschmack, der ihr allein gehört, durch eine befremdliche Mischung sonst unverbundener Reize." So charakterisiert Hermann Bahr 1894 in seinen "Studien zur Kritik der Moderne" den Dichterkomponisten Adalbert von Goldschmidt und erkennt in ihm den Künstlertypus des kommenden Jahrhunderts. Er vereine die "trunkene Kraft der französischen Romantik", die "prasselnde Rakete" des Wiener Salons und den "wilden Zwang faustischer Begierden" wie ihn die Deutschen mögen. Ein Künstler der kommenden Moderne sei dieser Goldschmidt, weil er als "Musiker, Maler, Dichter" die "Sondierung der Künste" zu überwinden suche. Doch kaum war das neue Jahrhundert da und die Moderne angebrochen, schon vergaß man diesen Propheten der neuen Zeit derart gründlich, dass heute kaum noch Spuren seines Werks zu finden sind. Was sind die Gründe für dieses kollektive Vergessen? Im September 1935 erschien die "Goebbels-Liste", ein Verzeichnis aller zeitgenössischer Komponisten, deren Werke "ab sofort nicht mehr in irgendwelche Spielfolgen deutscher Rundfunksender oder Theaterinstitute aufzunehmen" seien. Zu den Verbotenen gehört - neben Alban Berg, Hanns Eisler, Erwin Schulhoff oder Kurt Weill - als ältester unter allen Genannten auch Adalbert von Goldschmidt. Noch dreißig Jahre nach seinem Tod fürchtete das NS-Regime die Wiederentdeckung eines Komponisten, der zu Lebzeiten als jüdischer Wagnerianer galt, und von dem man sich nach viel besprochenen Aufführungen seines Oratoriums "Die sieben Todsünden" versprochen hatte, er werde die Nachfolge Richard Wagners antreten. In keinen anderen Komponisten seiner Generation wurden derart hohe Erwartungen gesetzt. Kein anderer wurde mit solchem Spott überschüttet, als übersteigerter Dandy, "Herr Adabei", als "Millionärkomponist" oder "Börsenjude" abgetan. "Überhaupt ist mein ganzes Leben ein Fluch!", notierte Goldschmidt in einem Brief an den Burgtheater-Schauspieler Josef Lewinsky. Goebbels' Verbot hat seine Wirkung auch posthum nicht verfehlt: In den letzten sechzig Jahren lässt sich keine Notenedition seiner Musik Goldschmidts nachweisen. Keines seiner Stücke ist gegenwärtig in einer öffentliche Aufführung verfügbar. Und die Musikwissenschaft hat ein Werk, das immerhin über 200 Kompositionen in allen Gattungen umfasst und von Komponisten-Freunden wie Franz Liszt oder Saint-Säens geschätzt wurde, bislang so gut wie gar nicht erforscht. Bereits in einem 1907 zum Tod des Komponisten erschienenen Nachruf griff Karl Kraus in der Fackel die Wiener Presse an und beklagte die "systematische Misshandlung eines Künstlers". Man müsse bedenken, "dass die Art, wie Adalbert von Goldschmidt, der Komponist, saß und ging, erzählte und schaute, hundertmal feineren Kunstgehalt hatte, als die Art, wie andere komponieren, und dass mit ihm einer jener seltenen Menschen gestorben ist, deren Wert zu erkennen nicht eine Fähigkeit ist, die die Kenntnis ihres Faches voraussetzt, sondern eine Angelegenheit des Kulturgefühls." In diesem Buch wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, Leben und Werk des Dichterkomponisten zu beschreiben und ihn musikhistorisch und ideengeschichtlich im Kontext des Wiener Fin de Siècle einzuordnen. Dabei erweist sich, dass Goldschmidt nicht einfach ein Wagner-Epigone war, sondern ein genialer Dilettant, ein Zukunftsmusiker ganz eigener Prägung. Er selbst prophezeite seinen Manuskripte, sie seien "dem ewige Schlafe geweiht" und bezeichnete sich ironisch als "Unsterblichkeitsclown". In seinem Spätwerk erweist er sich mit seinen "Allegorien der Leere", mit "Buschiaden auf die Meistersinger", mit demolierten Walzern und anonym veröffentlichten Kuckuckseiern als Geistesverwandter von Erik Satie. An seinen jüngeren Freund Arnold Schönberg schreibt Goldschmidt 1904: "An meine Auferstehung glaube ich wahrlich nicht mehr, im übrigen pfeife ich drauf". Dieses Buch lädt dazu ein, Goldschmidts Werke neu zu entdecken und gemeinsam mit ihm auf den Wunsch nach Unsterblichkeit zu pfeifen.

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