Beschreibung
In diesem Band geht es um Beziehungen zwischen normativen und empirischen Aussagen in der wissenschaftlichen Teildisziplin Sportpädagogik. Wir nehmen an, dass solche - vorhandenen wie möglichen - Beziehungen zwischen Sollen und Sein weder selbstverständlich noch unproblematisch sind. Diese Annahme wird nicht zuletzt durch Beobachtungen gestützt, die sowohl falsche als auch mangelnde Beziehungen ausweisen: Falsche Beziehungen bestehen dann, wenn unzulässiger Weise aus empirischen Tatsachen wünschenswerte Normen abgeleitet werden (Naturalistischer Fehlschluss) oder aus normativen Leitsätzen empirische Zustände gefolgert werden (Idealistischer Fehlschluss): Beispielsweise lässt sich aus der Tatsache, dass am Schwimmunterricht regelmäßig mehr als 10% der Schüler/innen nicht teilhaben, keineswegs ableiten, es handele sich dabei um eine pädagogisch akzeptable Norm; und aus dem begründeten Anspruch, dass alle Schüler/innen aktiv am Sportunterricht teilnehmen sollen, lässt sich ebenso wenig auf tatsächliche Partizipationsraten schließen. Mangelnde Beziehungen liegen vor, wenn mit deutlicher Schlagseite normative Vorstellungen bzw. Konzepte - oft in großer Zahl und guter Absicht - entworfen werden, ohne deren Realisierung einer empirischen Prüfung zu unterziehen (Normativer Überschuss) oder wenn empirische Untersuchungen bzw. Studien - zuletzt auch in der Sportpädagogik stark expandierend - durchgeführt werden, ohne deren Hintergrund auf normative Implikationen zu hinterfragen (Empirischer Überschuss): Eine normative Schlagseite lässt sich anfangs bei fast allen sportpädagogisch diskutierten Themen z.B. von der Koedukation bis zu den Bildungsstandards konstatieren, manchmal bleibt sie sogar dauerhaft bestehen; eine empirische Schlagseite lässt sich z.T. in größer angelegten und eilig realisierten Studien ausmachen, wie sie etwa in den frühen Untersuchungen zum Sportengagement von Kindern und Jugendlichen kritisiert wurde. Mit den Beiträgen im vorliegenden Sammelband wollen wir falsche Beziehungen zwischen Sollen und Sein vermeiden und mangelnde Beziehungen in ihrer Substanz verbessern. Denn der Zusammenhang von empirischen Einsichten und normativen Forderungen durchzieht die Teildisziplin Sportpädagogik in grundsätzlicher Weise, da sie sich mit Normativem und Faktischem auseinandersetzt. Hier gibt es einerseits gehaltvolle Beiträge über den normativen Charakter der Sportpädagogik und andererseits vielfältige Beiträge zur empirischen Forschung in der Sportpädagogik, allerdings steht beides noch weitgehend unverbunden nebeneinander. Dieser Band ist also der Versuch, die wechselseitige Beziehung zwischen Sollen und Sein stärker zu beleuchten, d. h. Normatives und Empirisches einer sportpädagogischen Durchdringung auszusetzen und ganz ausdrücklich die reflexive Verknüpfung zu stärken. Zwar erweist sich der mit "Transferproblemen und Abkoppelungseffekten" einhergehende "Hiatus von Sollen und Sein" als ein Spalt "struktureller Art", doch Brücken können und sollten gebaut werden. Die problemorientierten Beiträge einschlägiger Autorinnen und Autoren in diesem Band lassen sich nun - je nach Art des Brückenbaus - drei Kategorien zuordnen: In der ersten Kategorie ("I Vom Normativen zum Empirischen?") geht es um mögliche Wege und Desiderate einer empirischen Überprüfung sportpädagogischer Normen; in der zweiten Kategorie ("II Normatives im Empirischen?") werden bislang unterbelichtete Probleme und Implikationen von sportpädagogischen Normen im Kontext empirischer Studien aufgezeigt; in der dritten Kategorie ("III Normatives und Empirisches?") stehen fruchtbare Bezüge und Verknüpfungen von sportpädagogischen Normen mit empirischen Forschungsstrategien im Vordergrund.