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Zeichenwelt

Die Andere Bibliothek 219 - Zeichenwelt

Platthaus, Andreas /
Erschienen am 01.03.2003
CHF 40,75
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783821845265
Sprache: Deutsch
Umfang: 300
Auflage: 1. Auflage
Einband: Gebunden

Beschreibung

"Wir sind in die Epoche des doppelten Menschen eingetreten", behauptete der Titelheld in Jean Luc Godards 1965 gedrehtem Spielfilm Pierrot le fou. Wie recht er hatte! Und wie wenig er das wissen konnte! Zwei Jahre zuvor war eine Doppelexistenz entstanden, die ihresgleichen suchte: Moebius und Jean Giraud. Doch niemand ahnte damals etwas davon, denn Moebius war lediglich als Zeichner einiger Kurzgeschichten in einem wenig verbreiteten Satiremagazin, das sich Hara-Kiri nannte, aufgetreten, während Jean Giraud 1963 sein Debüt in dem damals überaus populären Comicmagazin Pilote erlebte. Blueberry hieß die Serie, die Giraud dort zeichnete, und sie sollte ihn berühmt machen. So berühmt, daß Moebius sein Wirken bald wieder einstellte, denn der eine ließ dem anderen keine Zeit. Dies sollte sich zehn Jahre später umdrehen: Mit einem Mal kehrte Moebius zurück, und seine Geschichten waren so erfolgreich, daß nun Jean Giraud ins Hintertreffen geriet. So entstanden zwei Biographien, die doch nur einen Urheber hatten, dessen bürgerlicher Name Jean Giraud lautet und der als Moebius heute Weltruhm genießt. Keinem anderen Menschen ist ein solches Doppelspiel gelungen; nur Godards Narr Pierrot, der im Film immer wieder betont, daß sein richtiger Name Ferdinand sei, darf als ähnlich konsequenter homme double gelten. Doch Moebius und Jean Giraud sind keine Fiktion. Das haben sie Ferdinand/Pierrot voraus, auch wenn Pierrot le fou seinen Hauptdarsteller Jean-Paul Belmondo als Leitbild seiner Generation etablierte. Jean Giraud aber hatte das schon vorausgesehen: Als er seinen ersten Helden, den Leutnant der US-Armee Michael Blueberry zeichnete, gab er ihm die Züge Belmondos, in dessen Rollen er sein eigenes Leben als Mittzwanziger wiedererkannte: "Die Abenteuer", schreibt Moebius in seiner Autobiographie, "lösten einander ab wie in einem Film von Godard, Charlotte et son Jules, der genau die Weise beschrieb, wie man sich zu benehmen hatte, um damals in der Pariser Gesellschaft a la mode zu sein. Genau zu der Zeit, als dieser Film herauskam, wurde Belmondo das Modell für die Figur von Blueberry - deutlich vor Pierrot le fou. Er war der Fahnenträger einer ganzen Generation." Diese biographische Parallele zwischen drei Menschen - Schauspieler, Zeichner und Comicfigur - endet jedoch schnell, und Moebius hat mit seinem Verweis darauf, daß er schon vor Pierrot le fou von Belmondo fasziniert war, jeden Zweifel an der Eigenständigkeit seiner eigenen Doppelexistenz ausgelöscht. Sie war vielmehr Kennzeichen einer Generation, nur daß Moebius dieser Rolle treu blieb. Während Belmondo auf der Leinwand lediglich zwei Stunden lang sein Doppelspiel betreiben durfte, tut Jean Giraud alias Moebius es im Comic seit vier Jahrzehnten. Blueberry mit Belmondos Zügen: Titelseite des deutschen Comicmagazins Zack Nr. 46, November 1972 Durch den Ausschluß der amerikanischen Comicproduktion vom europäischen Markt hatte sich eine einheimische junge Generation von Comiczeichnern etabliert, die dann nach dem Krieg gegen die erneuerte Konkurrenz aus Übersee bestehen konnte, Nachwuchskräfte ausbildete und eine europäische Comictradition begründete, die es zuvor nicht gegeben hatte. Nun erst wurden Zeichner wie Herge (der Schöpfer von Tim und Struppi) und Jije, die schon vor dem Krieg berühmt waren, stilbildend. Ihrem Vorbild eiferten zahllose französische und belgische Jungen nach, und einer davon war Jean Giraud. Schon als Knabe zeichnete er seine ersten Comics, mit siebzehn - kurz bevor er nach Mexiko reiste - wurden die ersten gedruckt, und mit zwanzig wählte er sich einen Namen, unter dem er als Künstler berühmt werden wollte: Moebius. Warum wählt man ein Pseudonym? Die Frage weckt die Erwartung, daß über Moebius nur zu sprechen wäre als Maskierung, als Tarnhelm, unter dem ein Mensch verschwindet, der Jean Giraud heißt, wenn er einmal nicht die Feder hält. Doch das wäre zu kurz gegriffen, denn Jean Giraud ist mittlerweile nicht weniger eine Stilisierung als Moebius