Beschreibung
Lange Zeit hat die Philosophie die Frage nach der Technik zu stellen versäumt, als sei sie es nicht wert, gedacht zu werden. Die Technik als Horizont jeder künftigen Möglichkeit und jeder Möglichkeit des zukünftigen Werdens ist Gegenstand von Stieglers auf drei Bände angelegtem Magnum opus, dessen erster Band nun vorliegt. Zentral für Stieglers Überlegungen ist die vergessene Figur des Epimetheus, des Zwillingsbruders von Prometheus: Prometheus hat den Göttern das Feuer gestohlen und sie beim Opfer betrogen. Dieses war notwendig, weil zuvor Epimetheus den Fehler begangen hatte, die Menschen nicht mit den Gaben auszustatten, die sie zum Überleben brauchen. Der Mensch lebt seitdem im Zwiespalt von epimetheia, dem im Nachhinein nachdenken, und prometheia, der Vorausschau. Mit Rousseau entwickelt Stiegler die These eines 'zweiten Ursprungs' der menschlichen Gattung, der im technischen Denken wurzelt. Damit stellt sich bereits für die früheste Menschheitsgeschichte die Frage der Zeitlichkeit und der Antizipation. Technik und Technologie werden immer mehr zu den beherrschenden dynamischen Faktoren der menschlichen Entwicklung, wobei im gleichen Maße die Unvorhersehbarkeit künftiger Entwicklungen wächst. Entlang der Thesen von Leroi-Gourhan und Simondon, mit Heidegger, Derrida und Rousseau entwirft Bernard Stiegler eine neue Sichtweise des Verhältnisses von Mensch und Technik.
Autorenportrait
Bernard Stiegler (1952-2020) war Philosoph und Medientheoretiker. Nach seiner Promotion an der EHESS war er Programmdirektor am »Collège International de Philosophie« und leitete das IRCAM in Paris. Ab 2006 war er Direktor der Abteilung »Kulturelle Entwicklung« am Centre Georges-Pompidou. Zwischen 1978 und 1983 saß er wegen bewaffneten Raubüberfalls in Haft, eine Erfahrung, die er in dem Buch »Passer à l'acte« (2003) als wesentlich für seine Hinwendung zur Philosophie beschreibt.
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