Beschreibung
Um 1900 entdeckte nicht nur die Psychiatrie, sondern auch die Pädagogik psychisch anormale Kinder. Die Schule übernahm mehr und mehr auch eine «therapeutische» Funktion: Schulpsychologen und -psychiater wurden eingestellt, spezielle Klassen für «psychopathische» Kinder eröffnet und Heime für «nervöse» Kinder gegründet. So offensichtlich es schien, dass es diese Kinder gab, so unklar war, was ihre Anormalität ausmachte. Diese Unsicherheit stellte sich jedoch nicht als Hindernis dar, sondern bildete im Gegenteil die Grundlage für höchste professionelle und präventive Ansprüche. Die Psychopathologie wurde Teil der Schule, eine «klinische» Pädagogik entstand. Dieser Wandel ging mit einschneidenden institutionellen Veränderungen, einem neuen psychodiagnostischen und therapeutischen Wissen und den dazugehörigen Praktiken einher. Schulärztliche Dienste führten Intelligenztests und Reihenuntersuchungen durch, in schulpsychologischen Beratungsstellen wurden Kinderzeichnungen durchleuchtet und mit Eltern und Kindern Gespräche geführt, Lehrkräfte stritten leidenschaftlich über Psychoanalyse und Schulkinder unterzogen sich Psychotherapien.
Autorenportrait
ist Professor für allgemeine und historische Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule FHNW und Mitglied des Instituts für Bildungswissenschaften der Universität Basel.