Beschreibung
Die Arbeitervereine in der Schweiz waren den wandernden Handwerksburschen aus den deutschsprachigen monarchischen Staaten nicht nur erste Anlaufstelle, für manche wurden sie zum vorübergehenden oder auch dauerhaften Heim in der Fremde. Sie waren polyfunktional angelegt, boten dem jungen, ungebundenen Arbeiter ein Vollprogramm für die arbeitsfreie Zeit: sie waren zugleich Bildungsort, Männerhort und politischer Handlungsraum. Von politischen Flüchtlingen in den 1830er-Jahren als Gesang- oder Lesevereine gegründet, wurden die deutschen Arbeitervereine zu Schulen für demokratische Praktiken und Organisationsfähigkeit. Später kamen Turnen, Tanz, Theater und anderes mehr hinzu. Von grosser Bedeutung war die männerbündische Geselligkeit, dem Alkohol- und Zigarrenkonsum wurde ungehindert gefrönt, die Alltagssorgen und materiellen Nöte fielen für ein paar Stunden der Vergessenheit anheim. Ganz nebenbei wurden die deutschen Arbeitervereine zum Schrittmacher der frühsozialistischen Arbeiterbewegung in der Schweiz. Die mitgliederstärkste Sektion mit der umfassendsten Infrastruktur, die 'Eintracht Zürich', entwickelte sich bis zum Ersten Weltkrieg zu einem eigentlichen sozialistischen Kampfverein. Schon vor dem Erwerb des prestigeträchtigen Vereinshauses am Zürcher Neumarkt wurde sie zum Dreh- und Angelpunkt für ausländische und Schweizer Sozialdemokraten. Liebknecht, Bebel, Bernstein, Kautsky und vielen anderen bot die Eintracht ein wichtiges Redeforum. Herman Greulich, Fritz Brupbacher, Fritz Platten und der spätere Generalstreikführer Robert Grimm starteten ihre politische Laufbahn in diesem Verein. Vor und während dem Ersten Weltkrieg gesellten sich mit Lenin, Trotzki, Axelrod, Radek und vielen anderen die russischen Exilrevolutionäre hinzu.
Autorenportrait
InhaltsangabeEinleitung Organisation, Idee und Programm der deutschen Arbeitervereine in der Schweiz Von der Gründerzeit bis zum Eingriff von Murten 1850 Vereinswesen und Arbeiterbildungsvereine im europäischen Kontext Das Vereinswesen zur Zeit des Deutschen Bunds Deutsche Handwerkervereine in der Schweiz Die Revolution von 1848/49 in Deutschland Die Entwicklung 1850-1878: der Weg zu einer sozialdemokratischen Landesorganisation Der «Arbeiterbildungsverein Eintracht» etabliert sich Hermann SchulzeDelitzsch: wirtschaftliche Selbsthilfe und Volksbildung Georg Feins vorübergehendes Comeback Die Arbeitervereine organisieren sich zentral Die 1860erJahre: die Eintracht baut ihre Infrastruktur aus Veränderte Vereinskultur Die Gründung der Ersten Internationale Das Interesse an der Internationale erwacht Die sozialdemokratische Phase Fazit: Äussere Turbulenzen und innerer Selbstfindungsprozess Vom «Sozialistengesetz» bis zum Ersten Weltkrieg Die Folgen von Bismarcks Sozialistenhetze für die Arbeitervereine Die 1890erJahre: Bekenntnis zur Internationale und allmählicher Wandel zum sozialistischen Klassenkampfverein Die deutschen und die österreichischungarischen Sozialdemokraten vereinigen sich Das Bekenntnis zur schweizerischen Partei Der Erste Weltkrieg Die russischen Sozialisten nehmen Einfluss Eine Epoche geht zu Ende: die Eintracht löst sich auf Fazit: Kontinuitäten und Brüche Die Mitgliederschaft der Eintracht Die soziale Zusammensetzung Grundzüge der Struktur der Vereinsbasis Ausdifferenzierung nach den verschiedenen Berufsgattungen Kontinuität und Wandel in der Berufsstruktur Die soziale Struktur der Führungsgruppe Die nationale Zusammensetzung Auswertung der Herkunft aus den deutschen Teilgebieten Alter und Zivilstand Die Frauen Das Problem der Fluktuation Das lebensweltliche Milieu des «Einträchtlers» Die breite Basis der kleinen Funktionäre und Funktionslosen Typisierung des Arbeitervereinsmitglieds Fazit: Der süddeutsche Handwerksbursche als Hauptträger der Eintracht Der polyfunktionale Arbeiterverein: Ort der Identitätsbildung und der Integration Der Arbeiterverein als zentraler Bestandteil der Lebenswelt des Wandergesellen Der Arbeiterverein als Heimat Werte und Normen: der sittlich-moralische Anspruch Praktizierte Geselligkeit Die Bedeutung des Gesangs im Arbeiterverein Die Arbeiterfest und veranstaltungskultur Weitere gesellige Anlässe im Jahresverlauf Ausflüge als Grossveranstaltungen Fazit: Die Eintracht Zürich als Ort gelebter Arbeiterkultur Die Herausbildung des politischen Bewusstseins Vom politischen Bewusstsein zum Sozialismus Die Eintracht: ein Hort der Männlichkeit Der Arbeiterverein als Brüderbund «Männlich und schön»: der Männlichkeitskult im deutschen Arbeiterverein Männlichkeit und Patriotismus Ein und Ausschluss der Frauen Frauen im deutschen Arbeiterverein Frauenthemen in der Eintracht Hausfrauen und russische Studentinnen Fazit: Der Arbeiterverein als ideologische Grossfamilie Das Verhältnis zwischen den deutschen und den Schweizer Genossen Der «Schweizerische Grütliverein» und die Eintracht: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Formalorganisatorische Gemeinsamkeiten Abgrenzung und Zusammengehen Die Annäherung zwischen der Eintracht und Greulichs Partei Der Zürcher Tonhallekrawall von 1871 Der alte Arbeiterbund als Pulverfass Das Verhältnis der deutschen Arbeitervereine zu den Schweizer Sozialdemokraten nach der «Solothurner Hochzeit» Der Grütliverein rüstet zum Abwehrkampf Die Nationalratswahlen von 1911 Der Parteitag der «Sozialdemokratischen Partei der Schweiz» von 1911 und die «Ausländerfrage» Die Eintracht wird Sektion der Zürcher Kantonalpartei Das Zusammengehen mit den Gewerkschaften Die Eintracht als treibende Kraft der Gewerkschaften Die Eintracht verordnet Gewerkschaftspflicht Das Bekenntnis der Landesorgan